Die Rückkehr des Adels nach 1989
Unter den vielen neuen Sachbüchern gibt es nur wenige Brandenburgica. Sie handeln vom Dreißigjährigen Krieg, dem Soldatenkönig und Friedrich II. sowie von der Rückkehr des Alten Adels nach 1989. Mit den folgenden vier Neuerscheinungen über preußisch-brandenburgische Geschichte wartet in diesem Herbst die Zunft der Historiker auf.
Verheerende Kriegsfolgen
Drei Herausgeber und zwölf Autoren beackern in diesem Buch das Areal, das im Museum des Dreißigjährigen Krieges in der Alten Bischofsburg in Wittstock vergegenwärtigt wird. So weit weg die Wirren zwischen 1618 bis 1648 auf den ersten Blick scheinen, der erste Satz im Grußwort der Brandenburgischen Kulturministeriums schlägt einen Bogen zum aktuellen Syrienkrieg. Denn auch dort sind große Gebiete durch unübersichtlich viele Frontlinien und Heere verwüstet worden. Die Folgen für Städte und Dörfer in der Mark Brandenburg und ihre Bewohner waren auch im 17. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes „verheerend“. Historiker Marco Kollenberg hat Selbstzeugnisse studiert, in denen die Plünderungen, Einquartierungen und Schwedentränken dargestellt wurden. Ein aufschlussreiches Fachbuch.
Matthias Asche / Marco Kollenberg / Antje Zeiger (Hrsg.): Halb Europa in Brandenburg: Der Dreißigjährige Krieg und seine Folgen. Lukas Verlag, 248 Seiten, 20 Euro.
Rückkehr des Alten Adels
„Alle Personen- und Ortsnamen in diesem Buch sind anonymisiert“, lautet die erste Fußnote. Die 1976 in Halberstadtgeborene Sozialwissenschaftlerin Ines Langelüddecke hat drei ehemalige Gutsdörfer in Brandenburg untersucht und im Rahmen ihrer Promotion, die sich fast ein Jahrzehnt hinzog, 21 Interviews geführt und ausgewertet. Entstanden ist eine umfangreiche wissenschaftliche Studie. Sie reflektiert die Rückkehr dreier Adelsfamilien, die in ihrem verlorenen Stammland wieder Fuß fassen möchten. Da die Bodenreform nicht rückgängig gemacht wurde, mussten sie Höfe und Land zurückkaufen. Doch wie reagierte die sozialistisch geprägte Dorfbevölkerung auf die Repräsentanten der überwunden geglaubten Ständegesellschaft? Die Autorin schildert die Begegnung und die Konflikte zwischen Ost- und Westdeutschen, zwischen Dorfbewohnern und Wohlhabenden. Sie mussten miteinander aushandeln, ob der Gutspark künftig privat oder öffentlich genutzt wird, wer die Kirche saniert und welche wirtschaftliche Perspektive die Dörfer gewinnen. Das brisante Thema wird gnadenlos akademisch aufbereitet.
Ines Langelüddecke: Alter Adel – Neues Land. Die Erben der Gutsbesitzer und ihre umstrittene Rückkehr ins postsozialistische Brandenburg. Wallstein, 380 Seiten, 39,90 Euro.
Ein unsympathischer König
Friedrich-Wilhelm I. (1688 – 1740), der Soldatenkönig, gilt als der große Unhold in der preußischen Geschichte. Mit eisernem Willen schuf er die Fundamente eines unattraktiven Militärstaates. Er legte großen Wert auf ein überdimensioniertes Heer und hatte eine Schwäche für die Langen Kerls. Seine Soldaten waren ihm aber viel zu kostbar, um sie in einen Krieg zu schicken. Während andere barocke Könige in Saus und Braus lebten, beschied er sich mit einer sparsamen Hofhaltung. Der Vater von Friedrich II. ist alles andere als ein Sympathieträger. Deshalb machten die Biografen um ihn auch in der Regel eine großen Bogen. Und wer sich auf ihn einließ – etwa Mitte des letzten Jahrhunderts der Historiker Carl Hinrichs oder der Romancier Jochen Klepper – schrieb viel zu dicke Bücher, um am Ende doch zu scheitern. Zu widersprüchlich erscheint dieser Despot. Er war gottesfürchtig und jähzornig, schikanierte Künstler, malte aber selber, setzte seinen Willen brutal durch, wollte aber eigentlich nur geliebt werden. Der Potsdamer Historiker Frank Göse hat sich auf die komplexe Gemengelage eingelassen und einen 600-Seiten-Wälzer verfasst. Darin verhandelt er das Leben und Wirken des Preußenkönigs nicht als biografisch Erzählung, sondern legt zwölf Themenkaptitel vor, die er jeweils mit einem Fazit abschließt. Die beachtlichste Neuerscheiungn unter den Brandenburgica in diesem Herbst.
Frank Göse: Friedrich Wilhelm I. Die vielen Gesichter des Soldatenkönigs. WbgTheiss, 604 Seiten, 38 Euro
Die Russen als Konflikt- und Bündnispartner
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland wurden zu allen Zeiten kontrovers diskutiert. Nach den Schlachten des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Niederlage wurde die Freundschaft zur Sowjetunion in der DDR Staatsdoktrin. Peter Hoffmann, ein heute 96-jähriger Historiker, der im Löwenberger Land lebt, unterstützte die Annäherung zwischen beiden Seiten nach Kräften. Er sagte sich von der Rassenlehre der Nazis los, studierte Slawistik und Geschichte und erforschte für die Akademie der Wissenschaften die preußisch-russischen Beziehungen im 18. Jahrhundert. Im hohen Alter hat er sich seinem Fachgebiet noch einmal ohne jede ideologische Ambition zugewandt. Bereits Friedrich II. hatte ein recht ambivalentes Verhältnis zu den Russen. Er sah sie als möglichen Bündnispartner, aber auch als gefährlichen Konkurrenten. Hoffmann hat die „Politischen Korrespondenzen“ des Preußenkönigs bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges durchkämmt und kann genau rekonstruieren, wie Friedrich II. höchstpersönlich Spione am russischen Hof einsetzte, um die unheimlichen Russen (oder natürlichen Verbündeten?) besser einschätzen zu können. Hoffmanns eingehende Untersuchung über Vorurteile, Urteile und Fehlurteile liefert künftigen Biografen ein zusätzliches „Mosaiksteinchen“, wie er bescheiden anmerkt. Sein Fazit: „Eine Politik gegen Russland war für Preußen, das hatte der König richtig erkannt, immer gefährlich, aber da er nur zu oft glaubte, russische Interessen ignorieren zu können, hat er in der realen Politik oft genug gegen seine eigenen Grundsätze verstoßen.“ Das führte 1750 sogar zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Peter Hoffmann: Friedrich II. und Russland. Die erste Periode seiner Regierung bis zum Hubertusburger Frieden 1763. Nora, 226 Seiten, 17,50 Euro.
Quelle:
https://www.maz-online.de/Brandenburg/Neue-Brandenburgica-2020-Buecher-von-Frank-Goese-Ines-Langelueddecke-und-Peter-Hoffmann
https://www.altekirchen.de/aktuelles/pressespiegel/vier-neue-sachbuecher-ueber-brandenburgisch-preussische-geschichte