Zur Entwicklung der jüdischen Bevölkerung in Preußen

 

 

Ausgangslage nach dem Wiener Kongress (1816/17)

Detaillierte Daten zu in Preußen lebenden Juden, ihrem Anteil an der Bevölkerung einzelner Provinzen und den Siedlungsschwerpunkten innerhalb dieser Provinzen liegen uns erstmals für die Jahre 1816/17 vor. Sie spiegeln die Gegebenheiten kurz nach der territorialen Neustrukturierung Europas im Rahmen des Wiener Kongresses (1815) dar.

Laut der Datenerhebung von 1816 lebten zu diesem Zeitpunkt knapp 124.000 Juden in Preußen, was etwa 1.2 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Ein Großteil von ihnen wurde erst durch territoriale Zugewinne in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts Bewohner  des Königreichs. Bei weitem die größte Zahl lebte 1816 in den Provinzen Posen, Rheinland, Schlesien und Westpreußen. In Brandenburg einschließlich Berlin hatten lediglich 6.5 % aller preußischen Juden ihren Wohnsitz.

 

Tabelle 1: Bevölkerungsstruktur preußischer Provinzen (1816)

ProvinzBevölkerung davon
Juden
Anteil an der
Bevölkerung
Verteilung der Juden
auf Provinzen
Berlin
182.0013.350
1.8 %2.7 %
Brandenburg
1.072.175
4.700
0.4 %3.8 %
Ostpreußen 874.162
2.167
0.2 %1.7 %
Pommern671.361
2.809
0.4 %2.3 %
Posen813.948
51.959
6.4 %42.0 %
Rheinland
1.845.645
17.559
1.0 %14.2 %
Sachsen1.180.413
3.089
0.3 %2.5 %
Schlesien1.914.093
16.079
0.8 %13.0 %
Westfalen 1.057.859
9.482
0.9 %7.7 %
Westpreußen 558.242
12.629
2.3 %10.2 %
SUMME10.169.899
123.823
1.2 %

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.7

 

In der Provinz Posen lag 1816 der jüdische Bevölkerungsanteil mit ca. 6.4 % deutlich über dem preußischen Durchschnitt von 1.2 %. Eine weitere Region mit vergleichsweise vielen Juden war Westpreußen (rd. 2.5 %). In der Provinz Brandenburg (ohne Berlin) war der Anteil mit etwas mehr 0.4 % unterdurchschnittlich. Zum Vergleich: in Berlin lag der jüdische Anteil  zu diesem Zeitpunkt bei mehr als 1.8 %.

Aus dem Jahr 1817 verfügen wir über erste Angaben dazu, in welchem Umfang sich die preußische Bevölkerung auf Städte und das Land verteilte. Bei der Betrachtung der Angaben ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine verwaltungsrechtliche Zuordnung zu einer der beiden Kategorien handelte, die nicht unbedingt im Zusammenhang mit der Bevölkerungszahl einzelner Wohnorte stand.

Auffällig ist, wie unterschiedlich die räumliche Verteilung der Gesamtbevölkerung und  die der Juden damals war: während 72.1 % der Gesamtbevölkerung auf dem Land lebte, waren lediglich 16.6 % der Juden dort ansässig.

Es gab allerdings auch einige Provinzen und Regierungsbezirke, in denen sich viele Juden auf dem Land aufhielten, wenn auch in diesen Fällen ihr Anteil niedriger als der der Gesamtbevölkerung war. Hier ist vor allem auf die Provinzen Rheinland und Westfalen sowie Teile von Sachsen und Schlesien zu verweisen.

Laut den amtlichen Unterlagen hatten nur 2.5 % der brandenburgischen Juden im ländlichen Raum (Gesamtbevölkerung ca.69 %) ihren Wohnsitz.

 

Tabelle 2: Auf dem Land lebende Bevölkerung Preußens (1817)

ProvinzBevölkerung
auf dem Land
davon
Juden
Anteil der
Bevölkerung
auf dem Land
Anteil der Juden
auf dem Land
Berlin7.944
04.0 %0
Brandenburg756.256
121
61.7 %2.5 %
Ostpreußen 708.350
51
77.0 %2.1 %
Pommern498.900
76
71.2 %2.6 %
Posen607.115
1.801
71.6 %3.4 %
Rheinland1.218.766
10.531
75.2 %61.9 %
Sachsen798.118
357
65.7 %10.8 %
Schlesien1.209.771
4.117
79.2 %25.7 %
Westfalen814.347
3.426
75.8 %35.2 %
Westpreußen414.912
320
71.3 %2.5 %
SUMME
7.105.802

20.800
72.1 %16.6 %

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.11

 

Ende 1817 existierten in Preußen insgesamt 42 Städte, in denen mehr als 500 Juden lebten. Der größte Teil der großen jüdischen Gemeinden befand sich in den Provinz Posen. Die einzige Großgemeinde innerhalb der Provinz Brandenburg bestand in Berlin.

Jüdische Stadtbewohner in den östlichen Regierungsbezirken Posen und Bromberg – vormals polnische Territorien – hatten in vielen Fällen einen Anteil an der Ortsbevölkerung, der deutlich höher als in anderen Regionen des Königreichs lag. In einigen Fällen waren Juden sogar in der Mehrheit. Auch in Westpreußen gab es einige Orte, die sich durch einen sehr hohen Anteil jüdischer Einwohner auszeichneten.

 

Tabelle 3:  Preußische Städte mit mehr als 700 jüdischen Einwohnern (1817)

Jüdische
Einwohner
Anteil an den
Bevölkerung
RegierungsbezirkProvinz
Breslau4.4095.7 %BreslauSchlesien
Posen4.02517.7 %PosenPosen
Berlin3.6992.0 %BerlinBrandenburg
Lissa3.64445.9 %PosenPosen
Kempen2.40652.4 %PosenPosen
Danzig2.1484.1 %DanzigWestpreußen
Inowrazlaw1.78446.9 %BrombergPosen
Krotoschin1.58633.9 %PosenPosen
Grätz1.45548.8 %PosenPosen
Rawitsch1.31616.2 %PosenPosen
Fordon1.29065.4 %BrombergPosen
Groß Glogau1.23812.1 %LiegnitzSchlesien
Filehne1.23144.2 %BrombergPosen
Wreschen1.21050.1 %PosenPosen
Rogasen1.17329.7 %PosenPosen
Zempelburg1.16950.7 %MarienwerderWestpreußen
Märkisch Friedland1.15150.0 %MarienwerderWestpreußen
Schwersenz1.09155.3 %PosenPosen
Schwerin1.05329.7 %PosenPosen
Zülz1.05043.3 %OppelnSchlesien
Königsberg 1.0271.6 %Königsberg Ostpreußen
Chodziesen90636.2 %BrombergPosen
Peisern88828.7 %PosenPosen
Meseritz85023.0 %PosenPosen
Kurnik77442.8 %PosenPosen
Schönlanke75622.9 %PosenPosen
Ostrowo71819.9 %PosenPosen
Obrzyzko
71539.9 %PosenPosen
Gnesen71018.1 %BrombergPosen
Lobsens70033.4 %BrombergPosen

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.9

 

Entwicklungen bis zur Gründung des Deutschen Reichs

In den Jahrzehnten bis zur Gründung des deutschen Reiches wuchs die jüdische Bevölkerung Preußens um rd. 200.000 Personen (1871: rd. 1.3 % Anteil an der Gesamtbevölkerung) an. Etwa ein Viertel des Anstiegs war territorialen Zugewinnen (Hessen-Nassau, Hannover, Schleswig-Holstein) zuzuschreiben.

Am stärksten nahmen während dieser Jahre die jüdische Bevölkerung Berlins (rd. 33.000), Schlesiens (rd. 31.000) und des Rheinlands (rd. 21.000) zu. Der Anstieg in Brandenburg (ohne Berlin) betrug im gleichen Zeitraum ca. 6800.

Die Provinz Posen behielt in der Jahrzehnten zwischen 1816 und 1871 ihre Position als bevölkerungsreichste Provinz, verlor aber im Gegensatz zu allen anderen Provinzen bereits ab den 1840er Jahren an jüdischen Einwohnern. Besonders drastisch war der Rückgang in den letzten 10 Jahren vor der Reichsgründung (rd. -12.000).

 

Tabelle 4: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Preußens (1816 – 1871)

Provinz18161825184318611871
Berlin
3.350
4.0798.34818.85936.015
Brandenburg
4.700
5.8097.85311.83511.469
Hannover12.790
Hessen-Nassau36.390
Hohenzollern968721
Ostpreußen 2.167
3.4816.91710.90514.425
Pommern2.809
4.1767.71612.48813.037
Posen51.959
65.13279.57574.17261.982
Rheinland
17.559
21.03627.57034.24838.424
Sachsen3.089
3.5724.5225.7755.958
Schlesien16.079
19.72128.60640.85646.619
Schleswig Holstein3.729
Westfalen 9.482
11.14214.40516.63117.245
Westpreußen 12.629
15.35021.34126.73026.632
SUMME123.823
153.498206.853253.457325.436

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.7, S.18-19

 

Im Jahr der Reichsgründung besaßen nur vier Provinzen einen überdurchschnittlichen Anteil Juden: Posen, Hessen-Nassau, Westpreußen und Brandenburg. Dass Brandenburg zu diesem Kreis gehörte, war vor allem auf die großen Zahl Juden zurückzuführen, die zwischen 1816 und 1871 Berlin als Wohnsitz gewählt hatten. Ohne Berlin einzurechnen, waren weniger als 0.6 % der brandenburgischen Bevölkerung Juden.

 

Tabelle 5: Bevölkerungsanteil der Juden in preußischen Provinzen (1816 und 1871)

Provinz18161871
Brandenburg (einschl. Berlin)
2.28 %4.92 %
Hannover0.65 %
Hessen-Nassau2.60 %
Hohenzollern1.10 %
Ostpreußen 0.25 %0.79 %
Pommern0.42 %0.91 %
Posen6.38 %3.91 %
Rheinland
0.95 %1,07 %
Sachsen0.26 %0.28 %
Schlesien0.84 %1.26 %
Schleswig Holstein0.36 %
Westfalen 0.90 %0.97 %
Westpreußen 2.26 %2.03 %
Preußen insg. (Anteil in %)1.22 %1.32 %

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.7, S.18-19

 

Tabelle 6:  Verteilung in Preußen lebender Juden auf Provinzebene (1816 bis 1871)

Provinz18161825184318611871
Berlin
2.7 %2.7 %4.0 %7.4 %11.1 %
Brandenburg
3.8 %3.8 %3.8 %4.7 %3.5 %
Hannover3.9 %
Hessen-Nassau11.2 %
Hohenzollern0.2 %
Ostpreußen 1.7 %2.3 %3.3 %4.3 %4.4 %
Pommern2.3 %2.7 %3.7 %4.9 %4.0 %
Posen42.0 %42.4 %38.5 %29.3 %19.0 %
Rheinland
14.2 %13.7 %13.3 %13.5 %11.8 %
Sachsen2.5 %2.3 %2.2 %2.3 %1.8 %
Schlesien13.0 %12.8 %13.8 %16.1 %14.3 %
Schleswig Holstein1.1 %
Westfalen 7.7 %7.3 %7.0 %6.6 %5.3 %
Westpreußen 10.2 %10,0 %10.3 %10.5 %8.2 %

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.7, S.18-19 und eigene Berechnungen

 

Bei der Betrachtung der Veränderungen in Prozent ist zu beachten, dass in den 1860er Jahren drei neue Provinzen hinzukamen, in denen sich 1871 über 15 % aller Juden aufhielten, was zwangsläufig die Zahlen der anderen Provinzen negativ beeinflusste.

 

Entwicklung zu Zeiten des Kaiserreichs und der Weimarer Republik

Die jüdische Bevölkerung nahm auch in den Jahrzehnten ab 1871 weiter zu – bei der letzten Erhebung vor dem 1.Weltkrieg lebten über 325.000 auf preußischem Gebiet (+ 90.000 gegenüber 1871), die Zunahme war aber weniger schnell als die unter der nicht-jüdischen Bevölkerung. Ein prozentualer Anteil von über 1.3 % (1871) an der Gesamtbevölkerung sollte zu Zeiten des Kaiserreiches und der Weimarer Republik nie wieder erreicht werden.

Fast dreiviertel der Juden lebten 1910 in fünf Teilen des preußischen Staatsgebiets: Berlin (21.6 %), Brandenburg (14.7 %), Rheinland (13.8 %), Hessen-Nassau (12.4 %) und Schlesien (10.8 %).

 

Tabelle 7: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Preußens (1871 – 1933)

Provinz18711890191019251933
Berlin
36.015
79.28690.013172.672160.654
Brandenburg
11.469
13.77561.3438.4427.616
Hannover12.790
15.11215.54514.89512.611
Hessen-Nassau36.390
44.54351.78152.75746.923
Hohenzollern721
661405335301
Ostpreußen 14.425
14.41113.02711.3378.838
Pommern13.037
12.2468.8627.7616.317
Posen61.982
44.34626.512
Grenzmark Posen - Westpreußen3.4372.775
Rheinland
38.424
47.23457.28758.22352.246
Sachsen5.958
7.9497.8338.3417.146
Schlesien46.619
48.00344.98540.02234.373
Schleswig Holstein3.729
3.5713.3434.1523.117
Westfalen 17.245
19.17221.03621.59518.819
Westpreußen 26.632
21.75013.954
SUMME325.436
372.059415.926403.969361.826

Quellen:

(a) Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerung- und Berufsverhältnisse der Juden der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.19. (b) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 46. Jahrgang (1927), Berlin 1927, S.9. (c) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937, S.18.

 

Tabelle 8: Zuwachs und Verluste innerhalb verschiedener Zeiträume

ProvinzZunahme/Abnahme
der Anzahl Juden
1871 - 1910
Zunahme/Abnahme
der Anzahl Juden
1910 - 1933
durchschnittliches
Wachstum
1871 - 1910
durchschnittliches
Wachstum
1910 - 1933
Berlin
53.998
70.551
2.38 %2.55 %
Brandenburg
49.874
-53.727
4.39 %-8.67 %
Hannover2.755
-2.934
0.50 %-0.91 %
Hessen-Nassau15.391
-4.858
0.91 %-0.43 %
Hohenzollern-316
-104
-1.47 %-1.28 %
Ostpreußen -1.398
-4.189
-0.26 %-1.67 %
Pommern-4.175
-2.545
-0.98 %-1.46 %
Posen-35.470
-2.15 %
Grenzmark Posen - Westpreußen
Rheinland
18.863
-4.861
1.03 %-0.38 %
Sachsen1.875
-687
0.70 %-0.40 %
Schlesien-1.634
-10.612
-0.09 %-1.16 %
Schleswig Holstein-386
-226
-0.28 %-0.30 %
Westfalen 3.791
-2.217
0.50 %-0.48 %
Westpreußen -12.678
-1.64 %
SUMME90.490
-16.409
0.63 %-0.19 %

Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundlage von Tabelle 7.

 

Tabelle 9:  Verteilung in Preußen lebender Juden auf einzelne Provinzen (1871 – 1933)

Provinz18711890191019251933
Berlin
11.1 %21.3 %21.6 %42.7 %44.4 %
Brandenburg
3.5 %3.7 %14.7 %2.1 %2.1 %
Grenzmark Posen-Westpreußen
0.9 %0.8 %
Hannover3.9 %4.1 %3.7 %3.7 %3.5 %
Hessen-Nassau11.2 %12.0 %12.4 %13.1 %13.0 %
Hohenzollern0.2 %0.2 %0.1 %0.1 %0.1 %
Ostpreußen 4.4 %3.9 %3.1 %2.8 %2.4 %
Pommern4.0 %3.3 %2.1 %1.9 %1.7 %
Posen19.0 %11.9 %6.4 %
Rheinland
11.8 %12.7 %13.8 %14.4 %14.5 %
Sachsen1.8 %2.1 %1.9 %2.1 %2.0 %
Schlesien14.3 %12.9 %10.8 %
9.9 %9.5 %
Schleswig Holstein1.1 %1.0 %0.8 %1.0 %0.9 %
Westfalen 5.3 %5.2 %5.1 %5.3 %5.2 %
Westpreußen 8.2 %5.8 %3.4 %

Quellen:

(a) Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 34.Jahrgang (1913), Berlin 1913, S.11. (b) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 46. Jahrgang (1927), Berlin 1927, S.9. (c) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937, S.18.

 

Tabelle 10: Anteil der Juden an der Bevölkerung preußischer Provinzen (1871 – 1933)

Provinz18711890191019251933
Berlin
4.36 %5.02 %4.35 %4.29 %3.78 %
Brandenburg (ohne Stadt Berlin)
0.56 %0.54 %1.50 %0.33 %0.28 %
Grenzmark Posen-Westpreußen
0.82 %
Hannover0.65 %0.66 %0.53 %1.03 %0.39 %
Hessen-Nassau2.60 %2.68 %2.33 %2.20 %1.82 %
Hohenzollern1.10 %1.00 %0.57 %0.47 %0.41 %
Ostpreußen 0.79 %0.74 %0.63 %0.50 %0.38 %
Pommern0.91 %0.81 %0.52 %0.41 %0.33 %
Posen3.91 %2.53 %1.26 %
Rheinland
1,07 %1.00 %0.80 %0.80 %0.68 %
Sachsen0.28 %0.31 %0.25 %0.25 %0.21 %
Schlesien1.26 %1.14 %0.86 %0.89 %0.73 %
Schleswig Holstein0.36 %0.29 %0.21 %0.27 %0.22 %
Westfalen 0.97 %0.79 %0.51 %0.45 %0.37 %
Westpreußen 2.03 %1.52 %0,82 %
Preußen insg. (Anteil in %)1.32 %1.24 %1.04 %1.06 %0.91 %

Quellen:

(a) Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.18 – 19. (b) Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 34.Jahrgang (1913), Berlin 1913, S.11. (c) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937, S.18.

 

Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung hatte kurz vor dem 1.Weltkrieg ihren Wohnsitz in preußischen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern. Auffällig ist, das Juden zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich stärker urbanisiert als die Mehrheitsgesellschaft waren. Während 1910 über 68 % der Juden Großstädte als Wohnsitz gewählt haben, waren dort weniger als 29 % der Nicht-Juden ansässig.

 

Tabelle 11: Bevölkerung Preußens in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern (1910)

Anzahl
Einwohner
davon
Juden
sonstige
Einwohner
Anteil
Juden
Berlin3.734.258
144.007
3.590.251
3.9 %
Köln 600.291
12.393
587.898
2.1 %
Breslau514.979
20.212
494.767
3.9 %
Frankfurt am Main414.567
26.228
388.339
6.3 %
Essen410.214
2.944
407.270
0.7 %
Hannover381.678
5.386
376.292
1.4 %
Düsseldorf 358.728
3.985
354.743
1.1 %
Magdeburg279.629
1.843
277.786
0.7 %
Dortmund258.962
2.830
256.132
1.1 %
Königsberg 245.994
4.565
241.429
1.9 %
Stettin237.402
2.757
234.645
1.2 %
Duisburg229.483
1.554
227.929
0.7 %
Kiel226.560
527
226.033
0.2 %
Gelsenkirchen192.013
1.261
190.752
0.7 %
Barmen187.342
668
186.674
0.4 %
Halle180.843
1.397
179.446
0.8 %
Bochum179.945
997
178.948
0.6 %
Altona172.628
1.824
170.804
1.1 %
Elberfeld170.195
1.919
168.276
1.1 %
Kassel153.196
2.675
150.521
1.7 %
Sonstige Großstädte1.032.462
9.903
1.022.559
1.0 %
SUMME10.161.369
249.875
9.911.494
Preußen insg.35.000.830
366.876
34.633.954
In Großstädten lebende Bevölkerung68,1 %28.6 %

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.24

 

Während der Bevölkerungszuwachs im 19.Jahrhundert teilweise territorialen Zugewinnen zuzuschreiben war, kam es nach dem 1.Weltkrieg aufgrund des Vertrags von Versailles zu Gebietsverlusten, die zur Folge hatten, dass sich die Zahl in Preußen lebender Juden um fast 46.000 reduzierte, von denen die meisten in den Provinzen Posen, Westpreußen  und Schlesien lebten. Brandenburg war nicht von diesen Abtretungen betroffen.

 

Tabelle 12: Auswirkungen des  Vertrags von Versailles auf jüdische Bevölkerungszahlen

Provinzjüdische
Bevölkerung
(Stand 1910)
Vertragsbedingte
Bevölkerungsverluste
abgetreten an
Berlin
90.0130
Brandenburg
61.3430
Ostpreußen 13.027-1.710Litauen, Polen
Pommern8.862-3Polen
Posen26.512-24.834Polen
Rheinland
57.287-23Belgien
Schlesien44.985-8.628Polen, Tschecheslovakei
Schleswig Holstein3.343-32Dänemark
Westpreußen 13.954-10.399Polen, Freie Stadt Danzig
SUMME-45.629

Quelle: Heinrich Silbergleit: Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930, S.23

 

Die nach dem Vertrag von Versailles noch bei Preußen verbleibenden Restgebiete der Provinzen Posen und Westpreußen wurden zwischen 1922 und 1938 unter dem Begriff „Grenzmark Posen – Westpreußen“ geführt. Es handelte sich dabei  um drei räumlich nicht zusammenhängende Gebiete im Osten Preußens.  In der neuen  Provinz lebten 1925 rd. 3.400 Juden, was einem Anteil von 0,9 % an der Gesamtbevölkerung entsprach.

1933 hatten noch rd. 362.000 Juden ihren Wohnsitz in Preußen, was einem Anteil von 0.9 % der preußischen Bevölkerung entsprach. Lediglich Berlin wies 1933 eine höhere jüdische Einwohnerzahl als vor dem 1.Weltkrieg auf, während Brandenburg im gleichen Zeitraum einen Großteil seiner jüdischen Einwohner verloren hatte.

Der deutliche Anstieg in Berlin und drastische Rückgang in Brandenburg ist vor allem darauf zurückzuführen, dass zahlreiche brandenburgische Orte 1920 Teil von Groß-Berlin wurden. Ein weiterer Faktor dürfte die Anziehungskraft von Großstädten, in diesem Fall des nahegelegenen Berlins, gewesen sein.

 

Entwicklungen während des Drittes Reiches

Der Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in Deutschland änderten sich schlagartig, als die Nationalsozialisten am 30.Januar 1933 an die Macht kamen. Die folgenden 12 Jahre flohen hunderttausende deutscher Juden aus ihrer Heimat oder wurden ermordet.

Da nichts über die Gesamtzahl jüdischer „Auswanderer“ aus Preußen sowie der Ermordeten, die aus diesem Teil Deutschlands stammten, bekannt ist, müssen die Zahlen für Deutschland insgesamt als Anhaltspunkt dienen. Es ist zu vermuten, dass diese in etwa die Bevölkerungsentwicklung in Preußen widerspiegeln

Die Zahl der Juden, die Deutschland zwischen 1933 und 1937 verließen, dürfte bei etwa 130.000 gelegen haben. Die jährlichen Auswanderungszahlen schwankten stark und standen in einem direkten Zusammenhang mit den ergriffenen antijüdischen Maßnahmen. Weitere 120.000 Juden flohen in den Jahren 1938 und 1939, als die Judenpolitik deutlich radikaler wurde.

In Preußen ging der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung aufgrund der Judenpolitik der Nationalsozialisten innerhalb weniger Jahre von 0.9 % (1933) auf nur noch 0.4 % (1939) zurück. Ein Verlust an jüdischen Bevölkerung war in allen preußischen Provinzen zu verzeichnen, wobei der Großteil der Bevölkerungsverluste in Berlin (rd. – 83.000), dem Rheinland (rd.- 29.000), Hessen-Nassau (rd. – 26.000) und Schlesien (rd. – 18.000) auftraten.

 

Tabelle 13: Entwicklung der jüdischen Bevölkerung Preußens (1933 und 1939)

Provinz19331939
Berlin
160.65477.850
Brandenburg
7.6163.586
Hannover12.6115.413
Hessen-Nassau46.92320.544
Hohenzollern301184
Ostpreußen 8.8383.004
Pommern6.3173.254
Grenzmark Posen - Westpreußen2.775
Rheinland
52.24623.611
Sachsen7.1462.420
Schlesien34.37316.336
Schleswig Holstein3.117586
Westfalen 18.8197.534
SUMME361.826164.332

Quellen:

(a) Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937, S.18. (b) Statistisches Reichsamt, Volkszählung, Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Heft 4: Die Juden und die jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich, Berlin 1944, S.6 – 7.

 

Auch für den Zeitraum 1939 bis 1945 liegen mir lediglich Daten für ganz Deutschland vor. In den Jahren 1940 bis Ende 1941 ging die Zahl jüdischer Flüchtlinge deutlich zurück. Die legale Auswanderung fand am 18. Oktober 1941 durch eine Anordnung von Heinrich Himmler ein Ende. Es leben zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise noch 165.000, meist ältere Juden, in Deutschland.

Die jüdische Bevölkerung ging danach, vor allem aufgrund von Deportation und Ermordung, schnell zurück und betrug deutschlandweit am 1.4.1943 nur noch etwa 32.000 und am 1.Sept.1944 weniger als 15 000.

 

Weiterführende Literatur und amtliche Statistiken

Barkai, Avraham: Bevölkerungsrückgang und wirtschaftliche Stagnation, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.4) 1918 – 1945, Hrsg. von Avraham Barkai, Paul Mendes-Flohr und Steven M. Lowenstein, München 1997, S.37 – 40.

Barkai, Avraham: Jüdisches Leben unter der Verfolgung, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.4) 1918 – 1945, Hrsg. von Avraham Barkai, Paul Mendes-Flohr und Steven M. Lowenstein, München 1997, S.226 – 228.

Barkai, Avraham: Die Heimat vertreibt ihre Kinder. Die nationalsozialistische Verfolgungspolitik 1933 bis 1941. in: Stiftung Jüdisches Museum Berlin und Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Heimat und Exil der deutschen Juden nach 1933, Frankfurt 2006, S.16 – 18.

Benz, Wolfgang (Hrsg.): Die Juden in Deutschland 1933 – 1945, Dritte Auflage 1993, München 1988

Jersch-Wenzel, Stefi: Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, in: Deutsch-Jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.2) 1780 – 1871, Hrsg. von Michael Brenner, Stefi Jersch-Wenzel und Michael A.Meyer, München 1996, S. 57 – 66.

Jüdische Gemeinde zu Berlin: Chronik der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, online unter: http://www.jg-berlin.org/ueber-uns/geschichte.html

Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1.Jahrgang (1880), Berlin 1880.

Kaiserliches Statistisches Amt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 34.Jahrgang (1913), Berlin 1913.

Königlich Statistisches Bureau, Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preußischen Staates und ihre Bevölkerung nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1.Dezember 1871, II. Brandenburg, Berlin 1873.

Königlich Statistisches Bureau, Jahrbuch für die amtliche Statistik des Preußischen Staates, 5.Jahrgang, Berlin 1883.

Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band II, Berlin 1893.

Königlich Statistisches Bureau, Gemeindelexikon für den Stadtkreis Berlin und die Provinz Brandenburg auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 2.Dezember 1895 und anderer amtlichen Quellen, III. Stadtkreis Berlin und Provinz Brandenburg, Berlin 1898.

Königlich Statistisches Bureau, Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Band IV, Berlin 1903.

Königlich Preußisches Statistisches Landesamt, Gemeindelexikon für das Königreich Preußen auf Grund der Materialien der Volkszählung vom 1.Dezember 1905 und anderer amtlichen Quellen, Heft III. Stadtkreis Berlin und Provinz Brandenburg, Berlin 1909.

Lowenstein, Steven: The population history of German Jewry 1815 – 1939, Boston 2023.
Neumann, S.: Zur Statistik der Juden in Preußen von 1816 – 1880, Berlin 1884.

Richarz, Monika: Die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung, in: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit (Bd.3) 1871 – 1918, Hrsg. von Steven M. Lowenstein, Paul Mendes-Flohr, Peter Pulzer und Monika Richarz, München 1997, S.13 – 38.

Rothholz, Julius: Zur Zunahme der jüdischen Einwohner in den Vororten Groß-Berlins, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, Frankfurt am Main 1929, Heft 1 / 2, S.57 – 63.

Segall, Jacob: Die Entwicklung der Juden in Preußen während der letzten 100 Jahre, in: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, Berlin, Juni 1912, Heft 6, S.81 – 86.

Segall, Jacob: Die Juden in Groß-Berlin, in: Zeitschrift für Demographie und Statistik der Juden, Berlin, September/Oktober 1914, Heft 9 / 10, S.121 – 132.

Silbergleit, Heinrich: Die Bevölkerung- und Berufsverhältnisse der Juden der Juden im Deutschen Reich, Berlin 1930.

Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich, online unter: https://www.statistik-des-holocaust.de/.

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 46. Jahrgang (1927), Berlin 1927

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 56. Jahrgang (1937), Berlin 1937

Statistisches Reichsamt, Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 58.Jahrgang (1939), Berlin 1939/40

Statistisches Reichsamt, Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1939, Heft 4: Die Juden und die jüdischen Mischlinge im Deutschen Reich, Berlin 1944